im Rahmen der Ausbildung zur Hundephysiotherapeutin 2020/21
Die Wirbelsäule Aufbau, Funktion, Pathologien und Therapiemöglichkeiten am Patientenbeispiel Mops Paco
verfasst von Kirsten Edinger
Dozent: Dirk Schaper
1. Einleitung
Die Wirbelsäule ist einer der wichtigsten Bausteine des Hundekörpers. Um ihren vielfältigen Aufgaben gewachsen sein zu können, muss sie stabil und flexibel zugleich sein. Diese beiden gegensätzlichen Eigenschaften machen sie jedoch gleichzeitig auch besonders anfällig für Bewegungseinschränkungen. Mangelnde oder übermäßige Bewegung (z.B. Hundesport oder Diensthunde), schlechte Ernährung sowie auch die Tatsache, dass unsere Hunde in der heutigen Zeit aufgrund einer sich stetig verbessernden medizinischen Versorgung immer älter werden, führen dazu, dass Rückenleiden beim Hund genauso oft vorkommen, wie bei uns Menschen. Manche Rassen haben schon allein aufgrund ihres genetisch bedingten Körperbaus ein deutlich höheres Risiko, an Rückenleiden zu erkranken. Egal, ob genetisch bedingt oder im Laufe des Hundelebens erworben, können diese Einschränkungen, wenn sie unbehandelt bleiben, weitreichende Auswirkungen auf den gesamten Hundekörper haben. Daher ist es wichtig, sorgsam mit der Wirbelsäule umzugehen und durch geeignete Vorsorgemaßnahmen, wie beispielsweise gute Ernährung, angemessene Bewegung und physiotherapeutische Maßnahmen schlimmere Folgen zu verhindern, hinauszuzögern oder den Leidensdruck zu verringern und dadurch die Lebensqualität zu erhalten oder sogar zu verbessern. In der vorliegenden Facharbeit soll die große Bedeutung der Wirbelsäule anhand des Aufbaus und ihrer verschiedenen Funktionen auch für Laien anschaulich erklärt werden. Die Beschreibung der verschiedenen Krankheitsbilder zeigt, wie anfällig die Wirbelsäule sein kann. Am Patientenbeispiel Paco werden abschließend einige Therapiemaßnahmen, die auch vorbeugend eingesetzt werden können, erläutert.
„Das Rückgrat: Überall im Leben benötigen wir es, körperlich, geistig und emotional.“ (Nathalie Heuer, Präsidentin Berufsverband der Tierheilpraktiker/-innen Schweiz, 2018)
2. Die Wirbelsäule
2.1. Aufbau
2.1.1. Allgemeine Einteilung der Wirbelsäule
Die Wirbelsäule des Hundes (Columna Vertebralis) besteht insgesamt aus circa 50 Wirbeln. Diese unterteilen sich in sieben Halswirbel (Vertebrae Cervicales), 13 Brustwirbel (Vertebrae Thoracales), sieben Lendenwirbel (Vertebrae Lumbales), drei Kreuzbeinwirbel (Vertebrae Sacrales) und circa 20 Schwanzwirbel (Vertebrae Caudales). Entsprechend wird die Wirbelsäule in verschiedene Abschnitte unterteilt: Bei den Cervicalwirbeln C1 – C7 spricht man von der Halswirbelsäule (HWS), bei den Thoracalwirbeln Th1 – Th13 von der Brustwirbelsäule (BWS) und bei den Lumbalwirbeln L1 – L7 von der Lendenwirbelsäule (LWS). Die drei Sacralwirbel S1 – S3 sind miteinander zum Kreuzbein (Os Sacrum) verwachsen. Die Caudalwirbel Cy1 – Cy20 (die genaue Anzahl ist abhängig von der jeweiligen Rasse) bilden die Rute des Hundes (Mai, 2019, S. 29).
2.1.2. Aufbau der Wirbelkörper
Die Wirbel bestehen aus dem Wirbelkörper (Corpus Vertebrae) und dem Wirbelbogen (Arcus Vertebrae). Gemeinsam umschließen sie das Wirbelloch (Foramen Vertebrale). Die Wirbellöcher aller Wirbel bilden den Wirbelkanal (Canalis Vertebralis), durch welchen das Rückenmark (Medulla Spinalis) vom Schädel (Cranium) bis zum hinteren Ende der Lendenwirbelsäule verläuft. Am Ursprung des Wirbelbogens befinden sich an der zum Kopf gewandten (cranial) und an der zum Schwanz gewandten (caudal) Seite jeweils zwei Einkerbungen (Incisura Vertebralis Cranialis bzw. Caudalis). Die beiden Einkerbungen zweier benachbarter Wirbel bilden das Zwischenwirbelloch (Foramen Intervertebrale). Durch dieses treten die Rückenmarksnerven sowie die Venen und Arterien in und aus dem Wirbelkanal aus. An der zum Rücken gewandten Seite (dorsal) der Wirbelkörper entspringt der Dornfortsatz (Processus Spinosus) und an den beiden Seiten (lateral) liegen die Querfortsätze (Processus Transversi). Zudem hat jeder Wirbel vier Gelenkfortsätze: zwei Processus Articulares Cranialis, auf denen im Bereich der Brust- und Lendenwirbelsäule noch jeweils ein Processus Mamilaris sitzt, und zwei Processus Articulares Caudalis. In der Lendenwirbelsäule kommen pro Wirbelkörper zusätzlich zwei Processus Accessorii hinzu. Die einzelnen Wirbel und Dornfortsätze sind in ihrer Form und ihrem Aussehen an ihre jeweilige Funktion angepasst (Hohmann, 2017, S. 39; Pfaffendorf, 2014, S. 12-13).
2.1.3. Verbindung der Wirbelkörper untereinander
2.1.3.1. Die Zwischenwirbelgelenke
Die Wirbel sind durch die Zwischenwirbelgelenke (Articulationes Intervertebrales) miteinander verbunden. Die Gelenkspartner sind hierbei die planen Gelenksflächen der Processus Articulares (Facies Articularis Cranialis und Caudalis), die von Knorpel überzogen sind. Sie werden von einer Gelenkkapsel, die Gelenkflüssigkeit (Synovialflüssigkeit) enthält, umschlossen (Schaper, 2020/2021; Pfaffendorf, 2014, S. 13).
2.1.3.2. Die Bandscheiben
Die Bandscheiben (Disci Intervertebrales) sorgen ebenfalls für eine spaltfreie Verbindung der Wirbel untereinander, dienen aber gleichzeitig als Puffer, so dass diese keinen direkten Kontakt zueinander haben. Dadurch schützen sie die Wirbel vor Verschleiß. Die Bandscheiben bestehen aus einem Galertkern (Nucleus Pulposus) und einem äußeren Ring (Anulus Fibrosus), der die Verbindung zwischen den Wirbeln herstellt und gleichzeitig den Nucleus Pulposus schützt (ATM Akademie 2015; Schaper, 2020/2021). Auf die wichtige Funktion der Bandscheiben wird im Kapitel 3. Pathologien der Wirbelsäule noch weiter eingegangen.
2.1.3.3. Der Bandapparat
An den Wirbelfortsätzen setzen diverse Bänder (Ligamenti) an, die für die entsprechende Stabilität der Wirbelsäule sorgen. Das Ligamentum Longitudinale Ventrale hemmt die übermäßige Streckung (Extension) der Wirbelsäule und sorgt dafür, dass sich die Bandscheiben nicht zur Bauchseite hin (ventral) verschieben. Das Ligamentum Longitudinale Dorsale limitiert die Bandscheiben nach dorsal, und verhindert somit, dass die Bandscheiben in den Wirbelkanal rutschen und dadurch das Rückenmark komprimieren. Sollte es dennoch zu einer dorsalen Bandscheibenprotrusion kommen, ist dies sehr schmerzhaft für den Hund, da das Ligamentum Longitudinale Dorsale mit vielen Schmerzfasern ausgestattet ist. Eine außergewöhnliche Beugung (Flexion) wird durch die Ligamenta Flava verhindert. Außerdem helfen sie durch Rückkehr in die Ausgangsposition der Muskulatur beim Wiederaufrichten der Wirbelsäule (DocCheck Flexikon, 2018). Die Ligamenta Intertransversaria hemmen die Rotation in der Wirbelsäule. Diese Bänder sind beim Hund muskulär ausgeprägt (Mm. Intertransversarii). Die Flexion wird zusätzlich von den Ligamenta Interspinalia gehemmt. Sie sind in der Halswirbelsäule ebenfalls muskulär ausgebildet (Mm. Interspinales). Sie verfügen über viele Mechanorezeptoren und spielen somit für die Körperwahrnehmung (Propriozeption) eine große Rolle. Ventral reichen sie bis an die Ligemanta Flava, dorsal bis4 ans Ligamentum Supraspinale heran. Das Ligamentum Supraspinale, das in der Halswirbelsäule ins Ligamentum Nuchae übergeht, sorgt für die dorsale Stabilisierung der Wirbelsäule und verhindert ebenfalls eine übermäßige Flexion (Hárrer, 2018, S. 202-203).
2.1.3.4. Die Muskeln
Die Verbindung der Wirbel durch die Muskeln ist für uns als Hundephysiotherapeuten die bedeutendste. Die Wirbelkörper sind in eine Reihe von Muskeln eingebettet, die für die nötige Stabilität und Flexibilität sorgen. Um die Wirbelsäule stabil und gleichzeitig auch beweglich zu halten, benötigt der Hund zusätzlich seine Bauchmuskeln, Teile der Schulterund Hüftmuskulatur, sowie die Schwanzmuskeln. Daraus lässt sich erkennen, dass die Wirbelsäule nicht gesondert betrachtet werden kann, sondern dass sie zum „Gesamtsystem Hund“ gehört. Anhaltende Beschwerden in der Wirbelsäule werden sich auch immer auf die Extremitäten auswirken und umgekehrt.
2.1.3.4.1. Die Rückenmuskulatur
Die Muskulatur des Rückens lässt sich in einen dorsalen und einen ventralen Anteil unterteilen. Zu den dorsalen Rückenmuskeln gehören:
Tabelle 1: dorsale Rückenmuskulatur (Schaper, 2020/2021)
Muskel | Funktion |
Musculus Obliquus Capitis Dorsalis Cranialis | Extension und Lateralflexion des Kopfes |
Musculus Obliquus Capitis Dorsalis Caudalis | Fixation und Rotation des Articulatio Atlanto Occipitalis |
Musculus Rectus Capitis Dorsalis Major / Minor | Extension des Kopfes |
Musculus Spinalis | Fixation von C2 bis TH 11 |
Musculus Semispinales Capitis (M. Biventer / M. Complexus) | beidseitige Innervation: Extension HWS und Kopf einseitige Innervation: Lateralflexion HWS und Kopf |
Musculus Splenius | beidseitige Innervation: Extension HWS und Kopf einseitige Innervation: Lateralflexion HWS und Kopf |
Musculi Multifidi (Pars Cervicis / Pars Thoracis / Pars Lumborum) | Fixation, Extension und Rotation der Wirbelsäule |
Musculus Iliocostalis Thoracis / Lumborum | Fixation der Rippen, Fixation, Extension und Rotation der Wirbelsäule C2 – Os Ilium |
Musculus Longissimus (Pars Capitis) | Lateralflexion und Extension in der HWS und im Kopf |
Musculus Longissimus (Pars Cervicis) | Lateralflexion und Extension in der HWS |
Musculus Longissimus (Pars Thoracis) | Lateralflexion in der BWS und der LWS, Fixation des Punktum Fixum Becken |
Musculus Longissimus (Pars Lumborum) | Extension in der BWS und LWS, Fixation des Punktum Fixum Becken |
Die ventrale Rückenmuskulatur setzt sich aus den folgenden Muskeln zusammen:
Tabelle 2: ventrale Rückenmuskulatur (Schaper, 2020/2021)
Muskel | Funktion |
Musculi Scaleni (M. Scalenus Medius / M. Scalenus Dorsalis) | Flexion und Lateralflexion der HWS, Inspirationshilfsmuskel, Rippenhebung |
Musculus Longus Colli (Pars Cervicalis / Pars Thoracica) | Flexion der HWS und der cranialen BWS |
Musculus Iliopsoas (M. Psoas Major) | Flexion (Lateralflexion) und Fixation der LWS |
Musculus Iliopsoas (M. Iliacus) | Flexion, Außenrotation und eine geringe Adduktion im Hüftgelenk |
Musculus Psoas Minor | Flexion, Lateralflexion und Stabilisation in der BWS und der LWS Nutation im Iliosakralgelenk (bei fixierter Wirbelsäule) |
Musculus Quadratus Lumborum | Fixation, Flexion und Lateralflexion in der LWS und der caudalen BWS |
2.1.3.4.2. Die Bauchmuskulatur
Die abdominale Bauchmuskulatur besteht aus dem Musculus Transversus Abdominis, dem Musculus Rectus Abdominis, dem Musculus Obliquus Internus Abdominis und dem Musculus Obliquus Externus Abdominis. Ihre Hauptaufgaben bestehen in der Funktion als6 Eingeweideträger, Expirationsmuskeln und Bauchpresse. Daneben sorgt der Musculus Transversus Abdominis, der am tiefsten liegende der abdominalen Bauchmuskeln, für die ventraler Stabilität der Lendenwirbelsäule. Der Musculus Rectus Abdominis unterstützt die Lendenwirbelsäule bei der Flexion. Für die Beugung des Rumpfes ist der Musculus Obliquus Internus Abdominis mitverantwortlich. Der Musculus Obliquus Externus Abdominis ist wie alle abdominalen Bauchmuskeln (außer dem Musculus Rectus Abdominis) über die Bauchaponeurose (Linea Alba) mit dem Becken verbunden. Daher ist auch er indirekt an der Nutation in den Iliosakralgelenken beteiligt. Zu den thoracalen Bauchmuskeln gehören die Musculi Intercostales Interni und die Musculi Intercostales Externi. Sie sind hauptsächlich Atemmuskeln (Interni = Expirationsmuskel; Externi = Inspirationsmuskel) und dienen dem Schutz der Zwischenrippenräume. Ihr Ursprung und Ansatz liegt an den Rippen, sodass sie über die Rippengelenke (Articulationes Costovertebrales) mit der Wirbelsäule verbunden sind (Schaper, 2020/2021).
2.1.3.4.3. Die Schultermuskulatur
Der oberflächliche Anteil der Schultermuskulatur besteht aus dem Musculus Trapezius, dem Musculus Sternocephalicus (Musculus Sternomastoideus + Musculus Sternooccipitalis), dem Musculus Brachiocephalicus [Musculus Cleidocephalicus (Musculus Cleidocervicalis + Musculus Cleidemastoideus) + Musculus Cleidobrachialis], dem Musculus Omotransversarius, dem Musculus Latissimus Dorsi sowie dem Musculus Pectoralis Superficiales. Die Muskeln werden im Folgenden nur bezüglich ihrer Auswirkungen auf die Stabilität und Flexibilität des Rumpfes und ihrer direkten Verbindung zu den Gliedmaßen betrachtet. Der Musculus Trapezius fixiert die Schulterblätter und somit die vorderen Extremitäten am Rumpf. Durch einseitige Innervation der Musculi Sternocephalicus und Brachiocephalicus wird eine Lateralflexion und eine Rotation in der Halswirbelsäule herbeigeführt. Bei beidseitiger Innervation kann der Hund seinen Kopf nach unten ziehen. Wird der Musculus Omotransversarius einseitig angespannt, kommt es ebenfalls zu einer Lateralflexion der Halswirbelsäule, ein beidseitiges Anspannen der Muskeln führt zu einer Flexion der Halswirbelsäule. Der Latissimus Dorsi hat seinen Ursprung in der großen Rückenfaszie (Fascia Thoracolumbalis) und stabilisiert somit den Rumpf von lateral. Gleichzeit ist dadurch eine Lateralflexion in der Brust- und Lendenwirbelsäule möglich. Der Musculus Pectoralis Superficialis stellt ebenfalls die Verbindung zwischen Rumpf und Gliedmaße her und stabilisiert das „Gesamtsystem Hund“ von ventral. Zu der tiefen Schultermuskulatur zählen neben dem Musculus Pectoralis Profundus (großflächige ventrale Stabilisation des Rumpfes) auch der Musculus Rhomboideus sowie der Musculus Serratus Ventralis. Die beiden letztgenannten bewirken durch ein beidseitiges Anspannen eine Extension der Halswirbelsäule, der Musculus Rhomboideus zudem ein Anheben des Kopfes. Der Musculus Serratus Ventralis ist der wichtigste Rumpfträger. Er stabilisiert den Rumpf von lateral und fixiert das Schulterblatt an diesem. Bei beidseitiger Innervation des cervicalen Anteils wird eine Extension der Halswirbelsäule herbeigeführt, bei einseitiger Innervation eine Lateralflexion. Grundsätzlich kann man sagen, dass ein Muskel umso mehr der Stabilisation dient, je tiefer er liegt (Schaper, 2020/2021).
2.1.3.4.4. Die Hüftmuskulatur
Die Verbindung der Wirbelsäule zur hinteren Extremität wird knöchern durch die Iliosakralgelenke und muskulär (neben der Rückenmuskulatur) auch durch den Musculus Gluteus Superficialis und den Musculus Piriformis hergestellt. Beide Muskeln bewirken durch Innervation auch eine Gegennutation in den Iliosakralgelenken (Schaper 2020/2021).
2.1.3.4.5. Die Schwanzmuskulatur
Der Schwanz ist die Verlängerung der Wirbelsäule. Daher gehören die Schwanzmuskeln zur letzten Gruppe der Wirbelsäulenmuskulatur. Sie lassen sich in WirbelsäulenSchwanzmuskeln und Becken-Schwanzmuskeln unterteilen. Zu den Wirbelsäulen-Schwanzmuskeln gehören: Musculus Sacrococcygeus Dorsalis Medialis, Musculus Sacrococcygeus Dorsalis Lateralis, Musculus Sacrococcygeus Ventralis Medialis, Musculus Sacrococcygeus Ventralis Lateralis, Musculi Intertransversarii Caudae. Zu den Becken-Schwanzmuskeln zählen: Musculus Coccygeus, Musculus Iliocaudalis, Musculus Pubocaudalis. Alle Muskeln sorgen für die Beweglichkeit des Schwanzes. Werden die Muskeln beidseits zusammengezogen, kommt es zu einem Heben (Schwanzheber) bzw. Senken (Schwanzniederzieher). Die einseitige Innervation führt zu einer Seitwärtsbewegung (Seitwärtszieher) des Schwanzes. Der Verlauf mancher Muskeln kann auch eine Bewegung nach schräg-oben oder schräg-unten bewirken (Messner, 2017).
2.2. Funktionen der Wirbelsäule
Die einzelnen Wirbelgelenke sind für sich betrachtet ein recht starres Gebilde. In der Summe ergibt sich jedoch eine sehr bewegliche Gesamtkonstruktion. Dadurch ist die Wirbelsäule zugleich stabil als auch flexibel und somit bestens für ihre Aufgaben gerüstet. Die Stabilität benötigt sie vor allem in ihrer Funktion als Halte- und Aufhängegerüst für die inneren8 Organe. Beide Eigenschaften sind wichtig, um als Stütz- und Tragegerüst des Bewegungsapparats fungieren zu können. Hierdurch wird der Grundstein für die Statik und Dynamik der Bewegung des Hundes gelegt. Um das Rückenmark optimal schützen zu können, muss die Wirbelsäule ebenfalls stabil und flexibel zugleich sein. Stabil, um vor äußeren Einflüssen zu schützen, flexibel, um sich an den pulsierenden Liquorfluss anpassen zu können. Flexibilität ist notwendig, um die auf sie einwirkenden Kräfte optimal ausgleichen zu können. Dies geschieht über die druckaufnehmenden Gelenke und die Bandscheiben. An vier Stellen der Wirbelsäule kommt es durch das Aufeinandertreffen von statischen und dynamischen Kräften zu einer Änderung in der Bewegungsachse:
– Kopf-Hals-Krümmung
– Hals-Brust-Krümmung
– Brust-Lenden-Krümmung
– Sakralkrümmung
Hier ändert sich auch jeweils die Form und Größe der einzelnen Wirbel. Die an den Übergängen liegenden Wirbel werden als sogenannte universelle Wirbel (die entsprechenden Gelenke als universelle Gelenke) bezeichnet. Da auf sie große gegensätzliche Kräfte einwirken, sind sie besonders anfällig für Bewegungseinschränkungen aller Art. Diese Wirbel sind der letzte Halswirbel (C7), der 10. Brustwirbel (Th10), der siebte Lendenwirbel (L7) und der erste Schwanzwirbel (Cy1) (Hohmann, 2017, S. 38-39; Mai, 2019, S. 21-24 u. S. 30; Maurer, 2018, S. 38).
2.2.1. Die Halswirbelsäule
Die Halswirbelsäule besteht aus sieben Halswirbeln (Vertebrae Cervicales C1-C7). Sie stellt den beweglichsten Teil der Wirbelsäule dar. Die Größe der Wirbelkörper nimmt von cranial nach caudal immer weiter ab. Der erste Halswirbel (Atlas) ist folglich der größte der sieben Halswirbel. Er stellt die Verbindung zwischen Schädel und Wirbelsäule her. Der Atlas besitzt als einziger Wirbel keinen Wirbelkörper, sondern bildet einen Wirbelring. Durch das atlanto-okzipitale-Gelenk, dem Gelenk zwischen Schädel und Atlas, ist es dem Hund möglich, den Kopf zu Heben und zu Senken. Der zweite Halswirbel (Axis) besteht aus einem langen Wirbelköper, an dessen Vorderseite sich ein Knochenzapfen (Dens) befindet. Der Dens ragt in den Wirbelkanal des Altas (Fovea Dentis). Diese Konstruktion (atlanto-axiales Gelenk) ermöglicht es dem Hund, seinen Kopf um die Achse des Dens zu drehen. Zwischen den beteiligten Wirbeln gibt es keine Bandscheiben, weshalb die beiden Kopfgelenke über tragende Synovialgelenke verfügen. Der siebte Halswirbel (C7) hat als einziger der Halswirbel eine Einkerbung an seinem caudalen Ende (Fovea Costalis Caudalis). Diese Einkerbung dient als Ansatzpunkt für die erste Rippe. Im Übergang von der Hals- zur Brustwirbelsäule treffen ein dynamischer und ein statischer Abschnitt aufeinander, was dieses Gelenk besonders empfindlich macht. Man spricht hier daher von einem universellen Gelenk. Die Bewegungen des Kopfes haben Auswirkungen auf die gesamte Länge der Wirbelsäule (Hohmann, 2017, S. 41; Mai, 2019, S. 31; Justus-Liebig-Universität Giessen, o.D.).
2.2.2. Die Brustwirbelsäule
Die Brustwirbelsäule setzt sich aus 13 Brustwirbeln (Vertebrae Thoracales Th1-Th13) zusammen. Sie ist der am wenigsten bewegliche Teil der Wirbelsäule. Die Lateralflexion wird seitlich durch die Rippen eingeschränkt. Durch das Sternum sowie die Länge und die nach caudal geneigte Ausrichtung der Dornfortsätze ist sowohl die Extension als auch die Flexion nur begrenzt möglich. Durch diesen statischen Aufbau werden die inneren Organe optimal geschützt. Die Länge der Dornfortsätze nimmt von cranial nach caudal hin stetig ab. An den Brustwirbeln setzen die Rippen über zwei Einzelgelenke, die miteinander ein Wechselgelenk bilden, an. Das Rippenhöckergelenk (Articulatio Costotransversaria) wird hierbei aus der Gelenkgrube am Ende des Querfortsatzes (Fovea Costalis) und dem Rippenhöckerchen (Tuberculum Costae) gebildet. Zusätzlich gibt es an jedem Wirbelkörper zwei Einkerbungen (Fovea Costalis Cranialis bzw. Caudalis). Sie stellen den Ansatzpunkt für den Rippenkopf (Caput Costae) dar. Eine Rippe geht dabei mit jeweils zwei benachbarten Wirbeln eine Gelenkverbindung über dieses Rippenkopfgelenk (Articulatio Capitis Costae) ein. Der Rippenkopf besitzt zwei Gelenkflächen (Facies Articularis Capitis Cranialis und Caudalis), die durch eine raue Leiste voneinander getrennt sind. Diese raue Leiste hat über das Ligamentum Intercapitale eine direkte Verbindung zur Bandscheibe. Der antiklinale Wirbel (TH10), auch Wechselwirbel oder diaphragmatischer Wirbel genannt, besitzt den kürzesten Dornfortsatz. Dieser nimmt eine nahezu senkrechte Position ein. Die nachfolgenden Wirbel neigen sich zunehmend stärker nach cranial. An diesem Punkt ist die Wirbelsäule sehr beweglich. Dies ist maßgeblich dafür, dass im Galopp die Beine weit nach vorne geschwungen werden können. Der Übergang von der Brust- zur Lendenwirbelsäule stellt ebenfalls ein universelles Gelenk dar und ist demzufolge besonders anfällig. Hier wird ein statischer von einem dynamischen Abschnitt der Wirbelsäule abgelöst (Antwerpes & Dolat-Abadi, 2017; Hohmann, 2017, S. 42; Mai, 2019, S. 30; Pfaffendorf, 2014, S. 32-34).
2.2.3. Die Lendenwirbelsäule
Die Lendenwirbelsäule besteht aus sieben Lendenwirbeln (Vertebrae Lumbales L1-L7). Im Vergleich zu den Halswirbeln sind diese Wirbel kürzer und schwächer ausgebildet, im Vergleich zu den Brustwirbeln länger und massiver. Bis zum vorletzten Lendenwirbel werden sie von cranial nach caudal betrachtet stetig länger und breiter. Die nach cranial geneigten, Dornfortsätze unterscheiden sich in ihrer Länge und Breite voneinander, sind aber insgesamt betrachtet recht kurz. Dadurch sind Flexion und Extension in diesem Bereich der Wirbelsäule gut durchführbar. Die Querfortsätze sind lang, wobei der fünfte oder sechste Wirbel die längsten Querfortsätze besitzt. Im Bereich der Lendenwirbelsäule wird die Beweglichkeit der Wirbel untereinander noch zusätzlich durch weitere Knochenwülste (Processus Accessorii), die auf den Querfortsätzen sitzen, eingeschränkt. Diese und die langen Dornfortsätze machen eine Rotation nahezu unmöglich und lassen eine Lateralflexion nur in sehr geringem Umfang zu. Dadurch erhöht sich jedoch gleichzeitig die Stabilität. Diese ist nötig, da die Lendenwirbelsäule den Ansatzpunkt für die Bauchwand darstellt und somit für das Tragen der inneren Organe mitverantwortlich ist. Außerdem wird sie dazu benötigt, die Kraft aus der hinteren Extremität auf den gesamten Körper zu übertragen. Der letzte Lendenwirbel (L7) ist über das Lumbosakralgelenk (Articulatio Lumbosacralis) mit dem Kreuzbein verbunden. Im Vergleich zu den anderen Gelenken der Lendenwirbelsäule ist der Bewegungsumfang in diesem Gelenk um fast ein dreifaches höher. Diese erhöhte Beweglichkeit ist notwendig, damit der Kraftschub aus der Hinterhand in eine Vorwärtsbewegung umgewandelt werden kann. Nachteil dieser Beweglichkeit ist, dass das Gelenk dadurch instabil und aufgrund der starken Kräfte, die auf es einwirken, besonders anfällig für Kompressionen ist. Bei dem Lumbosakralgelenk spricht man daher ebenfalls von einem universellen Gelenk (Hohmann, 2017, S. 42-44; Mai, 2019, S. 31).
2.2.4. Das Kreuzbein
Das Kreuzbein besteht aus drei Kreuzbeinwirbeln (Vertebrae Sacrales S1-S3), die beim ausgewachsenen Hund miteinander verschmolzen sind. Es ist über das Lumbosakralgelenk mit der Lendenwirbelsäule und über das universelle Gelenk zwischen S3 und Cy1 mit dem Schwanz verbunden. Das Kreuzbein kann sich in verschiedene Richtungen bewegen, jedoch bewegt es sich nie allein. Vielmehr wird die Bewegung durch das Becken vorgegeben. Die Verbindung des Kreuzbeins zum Becken und damit zur hinteren Extremität, stellt das Iliosakralgelenk (Articulatio Sacroiliaca) her. Durch dieses Gelenk wird das Kreuzbein zum Bestandteil des Beckenrings und ermöglicht dadurch eine Kraftübertragung von der Hinterhand über das Becken auf die Wirbelsäule und umgekehrt. Beim Iliosakralgelenk (ISG) handelt es sich um ein straffes Gelenk (beim ausgewachsenen Hund), das zusätzlich durch mehrere Bänder stabilisiert wird. Dies lässt nur einen sehr geringen Bewegungsspielraum (Nutation und Gegennutation) zu. Aktiv kann das ISG nicht bewegt werden, da es nicht über eigene Muskeln verfügt. Die passive Bewegung spielt jedoch beim Gehen eine wichtige Rolle, da hier wechselnde, drehende Bewegungen Einfluss auf das Becken haben. Die Bewegungen im ISG sind nicht messbar und stellen maximal ein Federn da. Schwimmt der Hund, kann man die Bewegungen jedoch gut fühlen (Hohmann, 2017, S. 43-44; Mai, 2019, S. 31).
2.2.5. Der Schwanz
Die Schwanzwirbel bestehen aus circa 20 Schwanzwirbel (Vertebrae Caudales Cy1-Cy20). Ihre genaue Anzahl ist abhängig von der jeweiligen Hunderasse. Die Dornfortsätze der ersten beiden Schwanzwirbel sind gespalten. Die übrigen sind lediglich noch als kleine Höcker ausgebildet. Das Gelenk zwischen Kreuzbein und dem ersten Schwanzwirbel ist ein universelles Gelenk, weswegen es wiederum besonders empfindlich ist. Gleichzeitig ermöglicht es dem Hund aber ein großes Bewegungsausmaß. Bewegungseinschränkungen im gesamten Schwanz sind äußert schmerzhaft für den Hund. Dem Schwanz kommt eine besondere Bedeutung zu. Er kann die Bewegungen der Wirbelsäule (s-förmige Kurve) mitmachen bzw. weiterführen, bei engen und schnellen Wendungen oder beim Springen fungiert er als Gegenruder. Außerdem übernimmt er bei der Vorwärtsbewegung eine stabilisierende Rolle, unterstützt den Hund beim Sitzen und beim Aufstehen (Balance) und ist wichtig für die Körperwahrnehmung (Propriozeption) des Hundes. Auch die große kommunikative Bedeutung darf nicht unterschätzt werden (Hohmann, 2017, S. 44; Mai, 2019, S. 32). Allein aufgrund der vielen Funktionen, die der Schwanz besitzt, war es eine längst überfällige Maßnahme, das Kupieren von Hunden als Tierquälerei gesetzlich zu verbieten (§ 6 Abs. 1 Satz 1 des Tierschutzgesetzes). Leider werden diese Verstümmelungen im Ausland teilweise weiterhin praktiziert. Es ist jedoch ein Straftatbestand, seinen Hund kurzfristig ins Ausland zu bringen, um ihn dort kupieren zu lassen (AG Neunkirchen, AZ 19.536/93). In der Schweiz ist das Einführen von kupierten Hunden sogar ausdrücklich verboten (vetevo, 2019).
3. Pathologien der Wirbelsäule
Die gesunde Wirbelsäule schwingt von caudal nach cranial s-förmig durch. Liegen Bewegungseinschränkungen vor, ist dies aus der Doralsansicht deutlich von außen zu erkennen (Hohmann, 2017, S. 45). Diese Einschränkungen müssen ihren Ursprung jedoch nicht zwingend in der Wirbelsäule haben. Länger anhaltende Schonhaltungen aufgrund von Problemen in Schulter und Hüfte bzw. den Extremitäten führen unweigerlich auch zu Verspannungen und Fehlhaltungen in der Wirbelsäule. Andauernde Beschwerden im Rücken haben umgekehrt auch Auswirkungen auf die Extremitäten. Die Belastungen, der die Wirbelsäule ausgesetzt ist, haben jedoch nicht nur Auswirkungen auf das Knochensystem, sondern auch auf das Nervensystem. Wird aufgrund einer Fehlstellung der aus dem Rückenmark austretende Spinalnerv blockiert, wird nicht nur der von diesem Nerv innervierte Muskel nicht mehr ausreichend versorgt, sondern gegebenenfalls auch die mit diesem Nerv verbundenen inneren Organe. Die Wirbelsäule spiegelt somit das Geschehen im Inneren des Körpers wider (Maurer, 2018, Seite 39).
3.1. Pathologien der Gelenke und Gelenkstrukturen
3.1.1. Cervicale Spondylomyelopathie (Wobbler-Syndrom)
Bei der cervicalen Spondylomyelopathie können sowohl Veränderungen in den Wirbelkörpern, den Bandscheiben, den Bändern und/oder im Rückenmark Auslöser für die Probleme sein. Sie können einzeln aber auch zusammen vorkommen. Die Kompression kann sowohl einen direkten mechanischen Einfluss auf die Neuronen als auch einen indirekten auf die Rückenmarksmikrogefäße haben. Der indirekte Einfluss besteht in der Minderversorgung des Rückenmarks mit Blut und Sauerstoff. Bilden sich infolgedessen Ödeme im Rückenmark, verstärkt das die Kompression zusätzlich. In der Regel sind die Bereiche der caudalen HWS (C4-C7) verändert. Es können auch mehrere Segmente gleichzeitig betroffen sein. Die Ursachen der Krankheit sind nicht bekannt. Jedoch kann angenommen werden, dass sie aufgrund von mangelhafter Ernährung, Traumen sowie Missbildungen (angeboren oder erworben) entsteht. Vorwiegend sind große Hunderassen (Dobermann und Deutsche Doggen) betroffen, wobei bei Bulldoggen und Bassets eine erbliche Form im Segment C3- C4 nachgewiesen werden konnte. Die Anzeichen der Krankheit sind unterschiedlich und hängen davon ab, wie stark das Rückenmark komprimiert wird und wie schnell die Kompression entsteht. Bei einem langsamen Verkauf kann der Körper dies auf neurologischer Ebene sehr gut ausgleichen. Der Hund kann starke Schmerzen im Halsbereich haben, was sich auf die Kopfhaltung auswirkt. Sind zusätzlich Nervenwurzeln in Mitleidenschaft gezogen, führt dies zu Lahmheit und Muskelatrophie in der vorderen Extremität. Das Gangbild der Patienten setzt sich aus zwei unterschiedlichen Mustern zusammen: In der vorderen Extremität ist der Schritt weit ausgreifend („Soldatenschritt“), die Rückenmarkskompression hat in der hinteren Extremität einen wackelnden Gang zur Folge. Diesem „Wobbeln“ verdankt die Krankheit ihren Namen Wobbler-Syndrom (Challande-Kathmann, 2021, Seite 132-134; Justus-Liebig-Universität Giessen, o.D.).
3.1.2. Degenerative lumbosacrale Stenose (Cauda-Equina-Syndrom)
Am caudalen Teil der Lendenwirbelsäule endet das Rückenmark. Im Übergang der Lendenwirbelsäule zum Kreuzbein verlaufen nur noch einzelne Nervenstränge im Wirbelkanal. Diese haben Ähnlichkeit mit einem Pferdeschweif, was der Krankheit zu ihrem Namen verhalf (Cauda-Equina-Syndrom). Eine Verengung des Wirbelkanals (Stenose), aufgrund von ererbten oder erworbenen Veränderungen der Wirbelkörper, Wirbelgelenke oder Bandscheiben, verbunden mit einer massiven Überlastung (anatomisch bedingt ist dieser Teil der Wirbelsäule allgemein sehr starken Belastungen ausgesetzt) führt in diesem Bereich zum Cauda-Equina-KompressionSyndrom. Besonders häufig sind ältere Tiere großer Rassen (Schäferhund) betroffen (degenerative lumbosacrale Stenose). Die Symptome des Cauda-Equina-Syndroms schreiten meist sehr langsam voran. Die Tiere haben vor allem starke Schmerzen am Übergang der LWS zum Kreuzbein. Folglich versuchen sie alle Bewegungen, die diesen Bereich zusätzlich belasten, wie beispielsweise ins Auto springen oder Treppen steigen, zu vermeiden. Infolgedessen atrophieren die Muskeln der Hinterhand sehr schnell. Im fortgeschrittenen Stadium fällt es den Patienten daher zusehends schwerer, aufzustehen. Schwanzlähmungen sowie Lahmheiten der hinteren Extremität kommen hinzu. In seltenen Fällen kann auch eine vollständige Lähmung (Parese) der Hintergliedmaße eintreten. Geht mit dieser eine Sensibilitätsstörung einher, kann dies dazu führen, dass sich der Hund an den Pfoten oder der Schwanzspitze selbst verstümmelt (Automutilation). Schreitet die Krankheit noch weiter voran, kann dies außerdem Kot- und Harninkontinenz zur Folge haben (Challande-Kathmann, 2021, Seite 137-139; Justus-Liebig-Universität, o.D.).
3.1.3. Wirbelfrakturen, -luxationen, -subluxationen
Auslöser von Wirbelfrakturen, -luxationen und -subluxationen können vor allen Dingen größere Traumata (z. B. Autounfall oder Sturz) sowie bei kleineren Hunden auch Bissverletzungen sein. Hauptsächlich kommen sie an den Übergängen von den beweglichen zu den starren Teilen der Wirbelsäule (universelle Gelenke) vor. Bei Zwergrassen kommt es häufig zu einer atlanto-axialen Subluxation, also einer Subluxation zwischen erstem und zweitem Halswirbel. Bei diesen sogenannten Toyrassen ist der Dens, der Zahn des zweiten Halswirbels kaum oder gar nicht ausgebildet (Malformation), so dass die knöcherne Verbindung zwischen den beiden Wirbeln sehr instabil ist. Diese Instabilität kann jedoch lange Zeit durch den komplexen Bandapparat ausgleichen, so dass der Hund kaum Anzeichen einer Subluxation zeigt. Wie sehr sich das Trauma auf den Hund auswirkt, hängt davon ab, wie stark das Rückenmark geschädigt wurde. Es kann zu einer Erschütterung, Prellung und im schlimmsten Fall zu einer kompletten Durchtrennung kommen. Folgen der Rückenmarkskompressionen und der sich dadurch bildenden Blutungen und Ödeme können neurologische Ausfälle sein. Nimmt der Druck auf das Rückenmark wieder ab (z.B. durch operative Entfernung der Blutgerinnsel und Ödeme), besteht die Chance, dass sich das Rückenmarkt wieder vollständig erholt. Kann die Stabilität der Wirbelsäule jedoch nicht mehr hergestellt werden und ist das Rückenmark zu sehr geschädigt, bleibt leider oft nur die Möglichkeit der Euthanasie (Challande-Kathmann, 2021, Seite 134-137).
3.1.4. Spondylose (Spondylosis Deformans)
Unter Spondylose versteht man die knöcherne Überbrückung mehrerer Wirbelkörper, wobei sich an zwei benachbarten Wirbelkörpern durch Anlagerung von Knochenzubildungen (Osteophyten) Fortsätze bilden, die langsam aufeinander zuwachsen. Dies ist sehr schmerzhaft für den Hund, da die Knochenzubildung eine Reizung der Knochenhaut zur Folge hat. Die vollständige Verknöcherung führt zwar dazu, dass die Wirbelsäule in diesem Segment nicht mehr beweglich ist, jedoch ist der Hund dann schmerz- und meistens symptomfrei. Besonders häufig kommt die Spondylose bei großen Hunden (insbesondere bei Boxern) vor. Die Ursachen für die Spondylose sind noch unklar. Vorstellbar ist, dass länger anhaltende und zu starke Belastungen der Wirbelsäule (z.B. durch Sport oder Übergewicht), kleine Frakturen der Wirbelkörper, traumatische Einflüsse, genetische Veranlagungen und auch das Züchten von unnatürlichen Körperformen, wie z.B. bei den chondrodystrophen Rassen, eine Rolle spielen. Solange die Verknöcherung noch nicht komplett abgeschlossen ist, hat der Hund bei jeder Bewegung starke Schmerzen, da die beiden Enden der Fortsätze aneinander reiben. Er wird es daher vermeiden, Treppen zu steigen oder zu springen. Auch hier führt die Vermeidung von Bewegung zum schnellen Muskelabbau. Außerdem wird ihm das Aufstehen und Hinlegen Schwierigkeiten bereiten. Durch Anspannen der Bauchmuskulatur versucht der Hund, die Schmerzen zu lindern, was die deutliche Aufkrümmung (Kyphose) des Rückens zur Folge hat. Sind die beiden Fortsätze vollständig zusammengewachsen, ist der Hund in der Regel schmerzfrei. Selten kann es jedoch vorkommen, dass beim Zusammenwachsen ein Rückenmarksnerv eingeklemmt wird, was starke Schmerzen, Inkontinenz und Lähmungen zur Folge haben kann (Bürgmann, 2018; Montasser, 2017).
3.1.5 Spondylarthrose
Der Abbau des Knorpels auf den Processus Articulares hat eine Entzündung in den Facettengelenken zur Folge. Diese wird als Spondylarthrose bezeichnet. Ursachen für den Knorpelabbau können degenerative Prozesse, Gelenksinfektionen, Überlastungen oder zu wenig Bewegung sein. Häufig ist sie die Folge von Spondylosen, da die Synovialflüssigkeit aufgrund der Unbeweglichkeit der Facettengelenke eindickt und somit den Entzündungsprozess in Gang setzt. Die Symptome sind mit den Symptomen der Spondylose identisch (Bürgmann, 2018; Schaper 2020/2021).
3.1.6. Discopathien
Die Wirbelsäule verdankt ihre Beweglichkeit den Bandscheiben. Sie liegen zwischen den Wirbelkörpern und verbinden diese spaltfrei miteinander. Sie haben eine Pufferfunktion und verhindern die Reibung der Wirbelkörper aneinander. Gleichzeitig dienen sie auch als Stoßdämpfer, da sie den von außen einwirkenden Druck abfangen und gleichmäßig auf die16 Wirbelkörper verteilen. Je dicker die Bandscheiben sind, desto beweglicher ist die Wirbelsäule an dieser Stelle. Bandscheiben zählen zu den knorpeligen Knochenverbindungen, da der äußere Ring (Anulus Fibrosus) aus faserknorpeligem Gewebe besteht. Im Inneren des Rings befindet sich ein weicher Gallertkern (Nucleus Pulposus). Bei einer gesunden Bandscheibe wird dieser Kern optimal vom äußeren Ring geschützt. Hauptbestandteil des Nucleus Pulposus ist Wasser. Damit die Bandscheibe geschmeidig bleibt, muss sie daher ausreichend mit Wasser versorgt werden. Dies geschieht durch Bewegung. Dabei saugt sie wie ein Schwamm Wasser aus dem umliegenden Gewebe auf und gibt es wieder an dieses ab. Da die Bandscheibe nicht über eine eigene Durchblutung verfügt und somit nicht über das Blut mit Nährstoffen versorgt werden kann, ernährt sie sich von den im Wasser gelösten Stoffen. Hieraus lässt sich erkennen, wie wichtig, ausreichende Bewegung für die Versorgung der Bandscheiben ist. Fehl- oder auch Überlastungen führen jedoch ebenfalls dazu, dass die Bandscheiben nicht genügend versorgt werden und somit nicht mehr ihren wichtigen Aufgaben nachkommen können (ATM Akademie, 2015; Hárrer, 2018, S. 202; Hohmann, 2017, S. 40-41).
3.1.6.1. Bandscheibenvorwölbung (Protrusion)
Bei der Bandscheibenvorwölbung bleibt der äußere Ring zwar intakt (unvollständiger Bandscheibenvorfall), ist jedoch aufgeweicht und kann den weichen Gallertkern nicht mehr in seiner anatomisch korrekten Form halten. Diese Formveränderungen führen dazu, dass sich die Bandscheibe in den Wirbelkanal wölbt. Zu einer Aufweichung des Anulus Fibrosus kommt es in der Regel aufgrund von Verschleißerscheinungen, die auf eine Minderversorgung der Bandscheiben, eine genetische Disposition oder auf das Alter des Hundes zurückzuführen sind. Durch die Vorwölbung nimmt der Druck auf die Spinalnerven zu, was zu starken Schmerzen mit Bewegungseinschränkungen in allen Extremitäten führen kann. Der Hund nimmt eine Schonhaltung ein und wölbt den Rücken auf (Kyphose). Die Berührungsempfindlichkeit kann entweder stark herabgesetzt oder aber erhöht sein, wodurch sogar leichte Berührungen sehr unangenehm für den Hund sein können (ATM Akademie, 2015).
3.1.6.2. Bandscheibenvorfall (Discusprolaps)
Beim Bandscheibenvorfall reißt der äußere Knorpelring komplett ein (vollständiger Bandscheibenvorfall/Bandscheibenruptur). Als Folge dringt das weiche Bandscheibenmaterial in den Wirbelkanal ein. Hat dieses noch eine Verbindung zum restlichen Gallertkern spricht man von einem nicht sequestrierten Bandscheibenvorfall. Liegt keine Verbindung mehr vor (sequestrierter Bandscheibenvorfall) kann dies auch Auswirkungen auf weiter entfernte Strukturen haben. Die Ursachen für Bandscheibenvorfälle können wie bei der Protrusion eine Mangelversorgung der Bandscheiben, Alterserscheinungen oder die genetische Veranlagung sein. Traumata können ebenfalls zu einem Bandscheibenvorfall führen. Im Vergleich sind sie jedoch seltener der Grund für einen Bandscheibenvorfall als degenerative Verschleißerscheinungen. Durch den Vorfall des Nucleus Pulposus in den Rückenmarkskanal kommt es zu einer Verdrängung und damit Kompression des Rückenmarks. Wie schwer sich diese Kompression auswirkt, hängt besonders von deren Dauer und Ausmaß ab. Auch ist die Geschwindigkeit, mit der die Kompression entsteht, nicht unerheblich. Nimmt der Druck nur langsam zu, kann der Körper dies besser kompensieren, weshalb der Hund eine geringere Symptomatik zeigt. Die Folgen der Ruptur (sowie der Protrusion) hängen auch davon ab, welche Segmente der Wirbelsäule belastet sind. In etwa 15 Prozent der Fälle ist die Halswirbelsäule betroffen (cervicaler Bandscheibenvorfall), was zu Schmerzen im Halsbereich führt. Der Hund vermeidet Kopfbewegungen und zeigt einen steifen Gang mit gestrecktem Hals und tief gehaltenem Kopf. Je nachdem, wie groß das Ausmaß der Rückenmarkskompression ist, kann es zu Bewegungseinschränkungen (Tetraparese) oder zu einer vollständigen Lähmung (Tetraplegie) aller vier Extremitäten kommen. Am häufigsten kommt es zu Bandscheibenvorfällen in der Brust- und Lendenwirbelsäule (circa 66-83 Prozent). Die Übergänge Th12 – Th13 und Th13 – L1 sind dabei in über 50 Prozent der Fälle betroffen, es folgen die Wirbelspalten zwischen Th11 – Th12 und L1 – L2. Symptome können hier wiederum starke Schmerzen sein, was zu einem gespannten Abdomen und einer damit einhergehenden Kyphose des Rückens führt. Auch zeigt der Hund eine erhöhte Berührungsempfindlichkeit an der betroffenen Stelle. Es kann zu Harnabsatzstörungen kommen. Das Ausmaß der neurologischen Ausfälle in den hinteren Extremitäten hängt wiederum von der Lage der betroffenen Segmente sowie der Dauer und Intensität der Rückenmarkskompression ab (ATM-Akademie, 2015; Challande-Kathmann, 2021, Seite 128-132; Schaper, 2020/2021).
3.1.7. Wirbelsäulenerkrankungen bei chondrodystrophen Rassen
Von chondrodystrophen Rassen spricht man, wenn die Hunde eine Störung des Knorpelwachstums und dadurch bedingt ein fehlendes Längenwachstum der Röhrenknochen aufweisen. Zu diesen Rassen gehören somit alle kurzbeinigen Hunde, wie zum Beispiel der Mops, der Pekingese, die englische und französische Bulldogge, der Shih Tzu, der Beagle sowie der Dackel.
3.1.7.1. Bandscheibenvorfall
Aufgrund der im Verhältnis zu der Kürze der Beine sehr langen Wirbelsäule verändert sich die Statik dieser, was eine vermehrte Belastung bei Bewegung zur Folge hat. Gleichzeitig liegt bei den chondrodystrophen Rassen der Nucleus Pulposus nicht zentral in der Bandscheibe. Der Gallertkern ist weiter in Richtung Rückenmarkskanal (dorsal) verlagert, so dass er an dieser Stelle nur von einer dünnen Schicht des ihn schützenden Knorpelrings umgeben ist. Dies erhöht die Gefahr einer Ruptur deutlich und prädisponiert kurzbeinige Rassen daher für Bandscheibenvorfälle. Das Risiko eines Bandscheibenvorfalls ist beim Dackel zwölfmal so hoch wie bei anderen Rassen. Daher spricht man bei Bandscheibenvorfällen auch von „Dackellähme“. Die degenerativen Prozesse des Bandscheibengewebes verlaufen bei den kurzbeinigen Rassen ebenfalls anders und vor allen Dingen schneller. Statt wie bei anderen Rassen faserhaltig verstärkt zu werden, verknorpelt und mineralisiert sich der Gallertkern. Dieser Alterungsprozess beginnt bei rund 75 Prozent der kurzbeinigen Hunde bereits mit einem Jahr. Auch hier ist der Dackel wieder trauriger Vorreiter: Bei circa 90 Prozent der Hunde kommt es zu einer frühzeitigen Verkalkung der Bandscheiben, worunter diese mehr oder weniger stark leiden (ATM Akademie, 2015; Hofstetter, 2018; Hohmann, 2017, S. 41).
3.1.7.2. Wirbelanomalien
3.1.7.2.1. Spina Bifida
Bei der Wirbelanomalie Spina Bifida schließt sich der Wirbelbogen über dem Wirbelkörper aufgrund eines Gendefekts nur unvollständig. Besonders Bulldoggen, Boston Terrier und Möpse sind hiervon betroffen. Wird das Rückenmark durch die Anomalie nicht direkt beeinträchtigt, zeigt das Tier keine Symptome. Ein erhöhter dorsaler Druck auf die Wirbelsäule sollte jedoch vermieden werden, um dem Hund Schmerzen zu ersparen. Hat die Anomalie Auswirkungen auf das Rückenmark, können neurologische Ausfallerscheinungen unterschiedlichen Ausmaßes die Folge sein (Gesunde Bulldogen e.V., 2021).
3.1.7.2.2. Keilwirbel
Keilwirbel sind angeborene Deformationen des Wirbelkörpers. Wie der Name schon sagt, sind die Wirbel keilförmig verändert. Besonders häufig kommen sie in der mittleren Brustwirbelsäule (Th7 – Th 9) vor. Die betroffenen Tiere können dabei lediglich einen Keilwirbel aufweisen oder mehrere, die dann üblicherweise direkt hintereinander liegen. Die sich daraus ergebende Fehlstellung der Wirbelsäule führt dazu, dass das Rückenmark an dieser Stelle komprimiert wird. Infolgedessen kommt es zu Schmerzen und neurologischen Problemen (Rentmeister, o.D.).
4. Therapiemöglichkeiten am Patientenbeispiel Mops Paco
Paco kam im Alter von sechs Jahren zu uns ins Tierheim. Er zeigt einen deutlich gekrümmten Rücken. Die Muskulatur der Hinterhand ist stark atrophiert und er schleift beim Laufen hör- und sichtbar mit den Füßen, was zu Abschürfungen auf beiden Fußoberseiten führt. Da die Muskulatur der Hinterhand nicht kräftig genug ist, sein Körpergewicht zu tragen, hat er dieses fast vollständig auf die vorderen Extremitäten verlagert. Auch im Sitzen versucht er die hintere Extremität durch Gewichtsverlagerung nach vorne zu entlasten. Die Muskulatur ist in der Vorderhand deshalb hyperton. Die ehemalige Besitzerin ist an Multipler Sklerose erkrankt und hatte angenommen, dass Paco lediglich ihren Gang nachahmt. Daher wurde er bei Auftreten der Gangveränderungen vor circa zwei Jahren keinem Tierarzt vorgestellt. Als Mops gehört Paco sowohl zu den chondrodystrophen als auch zu den brachiocephalen Rassen. Die selektive Zucht hat leider dazu geführt, dass er fast keine Nase mehr hat. Daher bekommt er schlecht Luft und schnauft deutlich hörbar. Paco wurde von unserer Tierärztin im Tierheim am Gaumensegel operiert (Kürzung, um eine bessere Luftzufuhr zu ermöglichen). Gleichzeitig wurden seine Nasenlöcher erweitert, um ihm das Atmen zu erleichtern. Aufgrund der vermuteten Wirbelsäulenproblematik wurde er an die Kleintierklinik in Ettlingen überwiesen. Paco hatte inzwischen das Glück, ein neues Zuhause gefunden zu haben. Die ältere Dame, mit einem großen Herzen auch für gehandicapte Hunde, ist jedoch selbst stark bewegungseingeschränkt, weswegen sie die Übungen mit Paco nicht eigenständig durchführen kann. Außerdem gehört Paco nicht zu den bewegungsund therapiefreudigsten Hunden. Er beherrscht kein einziges Grundkommando und ist auch nicht leinenführig, was die Therapie zusätzlich erschwert. Dafür verfügt er über einen ausgeprägten Fresstrieb. Daher nimmt Paco auch aufgrund der mangelnden Bewegung leider regelmäßig zu. Ein geringeres Körpergewicht würde seine Muskulatur und seine Wirbelsäule jedoch erheblich entlasten. Im Folgenden soll nur auf die Therapiemaßnahmen eingegangen werden, die mit Paco im Rahmen der Möglichkeiten durchführbar sind.
4.1. Passive Physiotherapiemaßnahmen
Um die hypertone Muskulatur der vorderen Extremitäten zu lockern, kann diese mit Wärme behandelt werden. Hierzu kann man beispielsweise ein Körnerkissen verwenden. Dieses wird in der Mikrowelle erwärmt und auf die zu behandelnde Stelle gelegt. Die plötzliche Wärme verringert den Muskeltonus und hebt die Schmerzschwelle an. Gleichzeitig wird die Durchblutung und somit die Stoffwechselaktivität gesteigert, wodurch der Abtransport von Stoffwechselendprodukten angeregt wird. Die Muskulatur kann sich entspannen. Gerade bei den brachiocephalen Rassen muss zwingend darauf geachtet werden, das Kissen nicht zu stark zu erwärmen, um eine Überhitzung zu vermeiden. Leidet der Hund zusätzlich unter Durchblutungs- und Sensibilitätsstörungen oder Herz-Kreislaufproblemen, sollte auf die Wärmeanwendung komplett verzichtet werden. Ebenso bei akuten Hämatomen sowie Blutungen. Die klassische Massagetherapie kann sowohl zur Entspannung der hypertonen Muskulatur (Detonisierung) als auch zur Steigerung der Muskelspannung (Tonisierung) eingesetzt werden. Langsame, sanft in Fellwuchsrichtung ausgeführte Bewegungen entspannen die Muskulatur, intensivere, entgegen der Fellwuchsrichtung ausgeführte Griffe, stimulieren sie. Man unterscheidet unter anderem folgende Grifftechniken voneinander: Streichungen, Knetungen, Hautmobilisationen, Zirkelungen, Klopfungen und Vibrationen. Durch die Massagetherapie wird die Durchblutung angeregt. Die Haut und die Muskulatur erwärmt sich, was zu einer Schmerzlinderung und damit zu einer allgemeinen Entspannung führt. Die Anregung des Stoffwechsels führt zu einer verbesserten Nährstoffversorgung, wodurch die Kontraktionskraft der hypotonen Muskulatur erhöht wird. Gleichzeitig werden Stoffwechselendprodukte besser abtransportiert. Bei Herzerkrankungen, Fieber, Entzündungen, akuten Traumata, Hämatomen, einer erhöhten Blutungsneigung oder Hautkrankheiten darf die klassische Massagetherapie keinesfalls durchgeführt werden. Paco ist am Rücken recht berührungsempfindlich, weshalb eine Massage an dieser Stelle bei ihm nur sehr vorsichtig und sanft durchgeführt werden sollte. Mit Hilfe von passiven Bewegungsübungen wird die Gelenkbeweglichkeit verbessert und, wenn diese über mehrere Gelenke ausgeführt werden, vergessene Bewegungsabläufe wieder ins Bewusstsein gerufen. Durch die Bewegung wird der Gelenkknorpel ernährt und die Schmerzen gelindert. Die passiven Bewegungsübungen sollten nicht bei Hypermobilität der jeweiligen Gelenke, akuten Frakturen, Osteoporose oder bei Entzündungen durchgeführt werden (Hofmann & Ulbrich, 2011, S. 67-82).
4.2. Aktive Physiotherapiemaßnahmen
Alle aktiven Maßnahmen müssen an die Konstitution und Leistungsfähigkeit des Hundes angepasst werden. Sie dürfen nicht durchgeführt werden, wenn der Hund akute Schmerzen, Gelenks- oder Muskelentzündungen, Fieber oder ein gestörtes Allgemeinbefinden hat. Zu den üblicherweise am einfachsten durchführbaren aktiven Maßnahmen gehört das regelmäßige Gassigehen (aktives Bewegen). Dies sollte den Hund keinesfalls überfordern, allerdings auch nicht unterfordern. Regelmäßige angepasste Bewegung hält den Hund fit, die Gelenke geschmeidig und stärkt die Muskulatur. Lässt man den Hund auf der Gassirunde über verschiedene Untergründe wie beispielsweise Asphalt, Rasen, Äcker oder Schotterwege laufen, schult das gleichzeitig die Propriozeption sowie die Fein- und Sensomotorik. Das Laufen durch weichen Sand aktiviert zudem den Muskelaufbau. Dies ist für den Hund sehr anstrengend, es sollte daher darauf geachtet werden, ihn nicht zu überlasten. Bei Schädigungen am Band- oder Sehnenapparat sollte gänzlich darauf verzichtet werden. Das langsame Bergaufgehen kräftigt insbesondere die Hinterbackenmuskulatur (Hamstrings), da der Hund seinen Körper mit den Hinterbeinen den Hang hinaufschieben muss. Dies kann auch erreicht werden, wenn der Hund mit den Vorderbeinen auf ein stabiles Podest (z.B. einen Baumstumpf, Zuhause auf einen kleinen Tritt oder zu Beginn auf ein gefaltetes Handtuch) gestellt wird. Dabei wird das Gewicht auf die Hinterhand verlagert, und somit die Muskulatur der hinteren Extremität belastet und trainiert. Streckt sich der Hund nach vorne, dehnt er seine inneren Lenden- und die Bauchmuskulatur. Da Paco mit den hinteren Extremitäten beim Laufen überkötet, sollte beim Sparziergang darauf geachtet werden, dass er sich die Fußoberseiten nicht aufreißt. Dies kann beispielsweise durch einen Pfotenschutz verhindert werden. Die Propriozeption kann auch im Liegen durch vorsichtiges Drücken oder Massieren der Ballen der Pfoten mit der Hand, einer weichen Bürste oder einem Igelball aktiviert werden (Hofmann & Ulbrich, 2011, S. 83-103).
5. Fazit
Eine gesunde Wirbelsäule ist unerlässlich für das Wohlbefinden des Hundes. Gelenkblockaden haben nicht nur direkte Auswirkungen auf knöcherne Strukturen, sondern auch auf Bänder, Muskeln, Sehnen, Organe und auch auf das Verhalten des Hundes (Aggressionen aufgrund von Schmerzen). Fehlbelastungen infolge von eingenommenen Schonhaltungen können ebenso Auswirkungen auf die Extremitäten haben. Es lohnt sich daher immer, sich um die Gesundheit der Wirbelsäule zu kümmern. Physiotherapeutische Maßnahmen können dabei sowohl vorbeugend als auch im akuten Fall eingesetzt werden. Nicht immer müssen Rückenleiden chirurgisch versorgt werden. Sollte eine Operation jedoch unvermeidbar sein, ist eine physiotherapeutische Nachbehandlung mit Muskelaufbau, Stabilisations- und Koordinationstraining, angepasst an den Status quo des Patienten, auf alle Fälle sinnvoll.
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7. Tabellenverzeichnis
Tabelle 1: dorsale Rückenmuskulatur (Schaper, 2020/2021) 4
Tabelle 2: ventrale Rückenmuskulatur (Schaper, 2020/2021) 5